Italienisch lesen

Lesetipps: Italienische Lieblingsbücher

In Vorbereitung für die literarische Reise nach Italien las ich zahlreiche Werke von Italienerinnen und Italienern. Etwas anderes als das Reisen vor Ort ist das Lesen von Autorinnen und Autoren anderer Länder zu Hause – oft in Übersetzung. Nicht zwingend ist der Handlungsort mit dem jeweiligen Heimatland verbunden, und nicht immer wird eine real existierende Welt beschrieben. Doch der Stil, die Poesie und die Art und Weise, eine Geschichte zu erzählen, sagen etwas über die Kultur des Landes, aus dem die Schreibenden stammen. So reisen Sie literarisch.

Folgende Bücher zählen zu meine Lieblingen und haben einen Platz in meinen Regal auf lange Zeit gesichert, wobei die Schriftstellerin Michela Murgia und verschiedene Titel aus dem Verlag Wagenbach zu Recht ganz oben auf der Liste stehen:

Autorin MurgiaMichela Murgia
Accabadora
Roman
Glaubst du, dass Dinge, die geschehen sollen, von allein geschehen? Ein sardisches Dorf, Mitte der 50er-Jahre: Als Dorfschneiderin ist Bonaria gewöhnt, Mass zu nehmen, – mit ihren Augen, ihrem Verstand und ihrem Herzen. Die kleine Maria, die sie als fill’e anima, Kind des Herzens, aufnimmt, ist ihr ganzes Glück. Manchmal hört Maria ihre Ziehmutter, die Accabadora, wie sie sich nachts aus dem Haus stiehlt, und am nächsten Tag läutet die Totenglocke … Als Bonaria Jahre später im Sterben liegt, hält eine alte „Schuld“ Bonaria umbarmherzig ans Leben gefesselt und Maria steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens.
Dieses Buch konnte ich nicht aus der Hand legen. Die beiden Frauen wuchsen mir so sehr ans Herz, dass dieses Buch zu meinen allgemeinen – also auch nicht länderspezifischen  – Top-10-Favoriten zählt.

Wagenbach VerlagMichela Murgia
Chirú
Roman
Als Eleonora und Chirú einander zum ersten Mal begegnen, ist sie 38 und er 18 Jahre alt. Nichts scheint die beiden zu verbinden. Und doch nimmt die bekannte Theaterschauspielerin den schlaksigen Musikstudenten als Schüler an, um seinen Weg für eine Weile zu begleiten. Sie führt ihn in ihre schillernde Künstlerwelt ein. Aber was ist diese lebensgewandte Frau für den Jungen – Lehrerin, Mutter, Geliebte? Von allem etwas und nichts davon ganz. Wie „Accabadora“ beginnt auch dieser Roman Murgias in Sardinien, führt seine Protagonisten dann aber durch ganz Europa. Michela Murgia erweist sich erneut als sensible Erzählerin. Sie entwirft kraftvolle, autonome Charaktere, die sie meisterlich durch die Untiefen menschlicher Beziehungen führt.
Auch dieses Buch war für mich viel zu schnell zu Ende – im besten Sinne.

WagenbachHrsg. v. Klaus Wagenbach
Nach Italien! Anleitung für eine glückliche Reise
Dieses Buch ist eine Hand- und Kopfreichung für den Reisenden, der mit guten Vorsätzen, aber wenig Kenntnissen ins Land der Zitronen fährt, und ein heiteres Lesebuch darüber, was den Reisenden in Italien erwartet: Dietmar Polaczek erläutert die dort Lebenden und übersetzt ihre Gebärden. Alice Vollenweider begleitet die Lesenden ins Restaurant und auf den Markt. Friederike Hausmann erzählt die Geschichte der auftauchenden Namen, Daten und Plätze – von Garibaldi bis Moro. Andreas Beyer erklärt den Schönheitssinn, die Farbenfreude und das Körpergefühl. Leonardo Galanti hat die wichtigsten Gesten fotografiert und ihre Bedeutungen erläutert.
Dazu kommen Innenansichten: Italien, gesehen von Italienern, zumeist Schriftstellern, die zuständig sind für den freien, feinen und gemeinen Blick, unter ihnen Italo Calvino, Umberto Eco und Antonio Tabucchi.
Und nicht zuletzt gibt es zwei Texte über das Gesicht einer Stadt in der Renaissance. Die früheren Reisewege der Touristen erlauben dem neugierig Reisenden einen Blick in die Geschichte.

Dieses Buch liest man nicht von vorn bis hinten, sondern am besten in Teilen. Es ist eine Freude, diese Textsammlung immer wieder zur Hand zu nehmen, und ich habe oftmals lauthals gelacht. Jede Person, die einmal in Italien war, wird die Realität gespiegelt sehen. Das Buch ist toll!

FamilienlexikonNatalia Ginzburg
Familienlexikon
Roman
Das 1963 mit dem Premio Strega ausgezeichnete Hauptwerk Ginzburgs ist nicht nur das komische Portrait einer denkwürdigen Familie (voran der donnernde Vater, Freund entschiedener Urteile, und die unverwüstliche Mutter, listenreiche Beschützerin ihrer Kinder und des eigenen Kleiderschranks), sondern zugleich ein grossartiges Portrait Italiens.
Ein Buch, das man gelesen haben sollte, auch wenn es sich nicht wie ein „pageturner“ liest. Ich habe es geliebt. Poetisch und stilistisch wunderbar, reiht sich dieses Buch auf jeden Fall in die Reihe der Meisterwerke ein.

Stefano Benni
Die Pantherin
Die düstere Halbwelt der geheimnisumwitterten „Akademie der drei Prinzen“ ist ein Zufluchtsort für Verrückte und Verlassene. Die wahren Spieler, die Profis mit ihren Queues, kommen nachts. Dann hört man nur noch das Rollen und das Klicken der Kugeln. Eine Männerwelt zwielichtiger Gestalten, bis die Pantherin erscheint – schlank, geschmeidig, schwarz gekleidet, mit dunkler Sonnenbrille. Jeder der Spieler tritt überlegen feixend gegen sie an – und sie besiegt alle ohne ein Wort. Als schliesslich der beste, der legendäre Engländer Jones, eintrifft und ihr zur Begrüssung die Hand reicht, nimmt sie ihre Brille ab, und beide schauen einander an. Dann beginnen sie zu spielen.
Stefano Benni ist in Bologna geboren; er ist für seine grandiosen Erzählungen bekannt. Mit der Geschichte der Pantherin ist ihm ein funkelndes kleines Meisterwerk gelungen. In der Ausgabe von Wagenbach Salto ist zudem die stilistisch ebenso hervorragende Erzählung Aixi enthalten. Dieser Autor war für mich ein Unbekannter, aber er ist eine wertvolle Neuentdeckung. Ich möchte noch viel mehr von ihm lesen!

Das Leben wartet nicht
Foto: Geri Krischker / © Diogenes Verlag

Marco Balzano
Das Leben wartet nicht
Roman
Ninetto war noch ein Kind, als er allein von Sizilien nach Mailand kam, um Arbeit zu suchen, ein furchtloser Junge mit der Sonne des Südens im Herzen. Obwohl er noch zu klein zum Radfahren war, fand er sogleich eine Anstellung als Bote.
Heute, mehr als 50 Jahre später, erkennt sich Ninetto in den Neuankömmlingen aus China und Nordafrika wieder. Sie haben dieselben Träume wie er damals und setzen alles daran, sie zu verwirklichen.
Auch wenn mich der Stil dieser Neuerscheinung aus dem Frühjahr 2017 am Anfang nicht überzeugen konnte, nahm mich das Buch gefangen, und der Charakter Ninetto wuchs mir mehr und mehr ans Herz. Am Ende hatte mich der Autor schliesslich doch um den Finger gewickelt. Flüchtlinge sind in Italien ein aktuelles Thema, das geschichtlich auch im eigenen Land von Süden nach Norden seine Spuren zog. Hier sehe ich die inhaltliche Qualität des Buches ganz stark; kein anderes italienisches Buch zum Thema konnte mich bisher mehr überzeugen.

CoverPaolo Giordano
Schwarz und Silber
Roman
Was passiert, wenn plötzlich jemand fehlt, der immer da war? Nora und ihr Mann leben mit ihrem kleinen Sohn in Turin. Sie ist Architektin, er ist Physiker. Im Alltag werden sie von der wunderbaren Babette unterstützt; sie ist die Frau für alles, sie betreut das Kind, sie kocht, sie schmeisst den Haushalt. Babette gehört zur Familie. Doch eines Tages kann sie nicht mehr kommen, da sie an Krebs erkrankt ist.
Paolo Giordano zeigt mit der ihm eigenen präzisen Beobachtungsgabe und mit grosser Empathie, wie das Fehlen eines geliebten Menschen alles verändert und wie man gleichzeitig die Erinnerung an diese Person wachhalten kann.
Beim Lesen dachte ich: Möge dieses Buch nicht enden! Die Ausgabe hatte eine grosse Schrift, und so las ich Seite für Seite langsam und genussvoll. Es ist thematisch keine leichte Kost, aber ich schätze und liebe Giordanos kraftvolle Sprache und seine poetischen Bilder sehr.

Und welche italienischen Bücher lieben Sie? Schreiben Sie mir Ihren Tipp im Kommentar! Danke!

6 Kommentare zu „Lesetipps: Italienische Lieblingsbücher“

  1. Danke. Durchforste in einem Anfall akuter Italien-Sehnsucht gerade das Netz nach deutschsprachigen Romanen zum Thema – und freue mich sehr eine Liste zu finden die sich nicht in Donna Lein erschöpft sondern mir unbekannte spannende Bücher bietet. Meine Buchhändlerin wird sich freuen.

    1. Lieber Dirk Franke
      Oh das freut mich sehr zu lesen! Gerne werde ich – dank meiner akuten Italien-Sehnsucht und Ihrer motivierenden Rückmeldung – bald die ganz neuen italienischen Buchtipps veröffentlichen! Wir bleiben also am Besten in Kontakt 🙂
      Geteilte Freude ist doppelte Freude!
      Liebe Grüsse, auch an Ihre Buchhändlerin,
      Lydia Zimmer

  2. Oh, das freut mich. Ich bin sehr gespannt – so über Italien lesen ist immerhin ein kleiner Notbehelf bei akuter Sehnsucht. (und mir ist es gelungen, den Blog meinem Feedly beizubringen. In der Hoffnung, dass ich das Italien-Update und andere schöne Sachen mitbekomme)

    1. Lieber Dirk Franke, schön, dass wir so in Kontakt bleiben! Und auch wenn Sie Tipps zu italienischer Literatur haben – gerne! Herzliche Grüsse aus Basel!

  3. Vielen Dank für die Vorstellung Ihrer „Lieblinge“; ich habe ein paar Schmerzmittel gegen den Frust der Reisebeschränkungen gefunden und freue mich darüber.
    Zu meinen Favoriten gehört „Das etruskische Lächeln“ von José Luis Sampedro;die berührende Geschichte eines alten und knorrigen sizilianischen Bauern, der in Mailand über die Liebe zu seinem frisch geborenen Enkelkind zur Liebe selbst findet und neben seiner verbitterten Weltsicht nochmal überraschend neue Einsichten gewinnt. Happy End scheint möglich, wäre da nicht seine Krebserkrankung…

    1. Lieber Olaf Hartke,
      Merci für diesen tollen ergänzenden Buchtipp aus Spanien!
      Das Buch kenne ich noch nicht. Gerne schaue ich es mir jetzt genauer an!
      Liebe Grüsse!

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